Wem gehört die Stadt? – Buchhandlungen erobern die Bürgersteige

Berlin/Frankfurt am Main, Juli 2015. – Alexander Mitscherlich hätte seinen Augen nicht getraut: Statt „Unwirtlichkeit der Städte“ wird die City wohnlich: Blumen, Bistrotische, Sonnenschirme und Ruhebänke – ein Verdienst des Einzelhandels und insbesondere des Buchhandels! Er erobert die Bürgersteige einfallsreich wie kein zweiter. Wir haben Fotos gesammelt und uns umgehört.

Von Aachen bis Teltow – Buchmenschen sind gern draußen. Viele Buchhändler erweitern deshalb ihr Terrain: natürlich mit Büchern, Kunst, Fahrradständern, Blumen, Open-Air-Lesungen, Weinverkostungen, Poetry Slams oder Lesemöbeln zum Schmökern. Den Kunden gefällt es. „Inzwischen kommt jeden Morgen einer und hilft uns, den schweren Tisch rauszutragen, auf dem wir vor dem Laden unsere Lieblingsbücher zeigen“, erzählt Anne Rinklake, Inhaberin der Buchhandlung im Alten Rathaus in Damme, Niedersachsen. Oft braucht es findige Ideen, um die städtischen Restriktionen auszutricksen – wie in Aachen, wo rund um das UNESCO Weltkulturerbe „nichts geht“. Die Buchhandlung Schmetz am Dom stellt eine Kaltwasserwanne auf für wehe Füße und legt Sommerlektüre dazu. Wenn es um Abgaben an die Stadt geht, die kein Umsatz decken kann, wie Linda Broszeit, Inhaberin der Bücherinsel in Duisburg, sagt, dann werden „unsere Ideen im Keim erstickt“ und der Buchhandel durch Bußgelder Opfer seiner originellen Ideen: das Ordnungsamt schritt dort gegen einen flyerverteilenden Weihnachtsmann ein und schickte einen Bußgeldbescheid. Dass nicht mehr Buchhändler den öffentlichen Raum für sich und ihre Aktionen entdecken – wen wundert es bei 120 Euro Gebühr für einen Tapeziertisch auf dem Bürgersteig in der Stadt Duisburg, wohlgemerkt für zwei Tage?

Wem gehört die Stadt? Wovon lebt die Stadt? Es bleiben offene Fragen.

Der Stadtforscher Dr. Hans Hermann Albers (Albers Architektur & STADTREGIE Berlin) befasst  sich auch wissenschaftlich mit der Stadt : „Viele Einzelhändler sehen Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe und arbeiten zusammen. Der Buchhandel kann dabei eine tragende Rolle einnehmen. Denn er ist ja Raum für Wissen und Bildung, aktiver Bestandteil urbaner Nachbarschaft und Element der sozialen Infrastruktur.“ Nach seinen Erfahrungen kann niemand so gut wie der Buchhandel gerade urbane Themen oder Trends durch das eigene Angebot aktiv vermitteln und über die Ladengrenzen hinaus einen Beitrag für eine lebenswerte Stadt von Morgen leisten. „Buchhandel ist in diesem Sinne viel mehr als nur Handel – er ist Ort und Treffpunkt für Kiezkultur oder multifunktionaler Anker für eine Region“, sagt Albers. „Verstärkend wirkt, wenn er das Buch im öffentlichen Raum sichtbar und engagiert zeigt – bei Veranstaltungen zu städtischen Themen, zu Stadtgeschichte, urbanem Gärtnern, Stadtentwicklung oder Architektur.“

Buchhändler sind also mehr als Besetzer von public space. Vielerorts wird ihr Engagement noch unterschätzt und die Rolle des „engagierten“ Buchhandels als Akteur der sozialen Infrastruktur übersehen. Und leider erkennen viele Kommunen nicht, mit welchem Pfund sie wuchern könnten: Sie ordnen den Buchhandel in den allgemeinen Kontext des innerstädtischen Handels ein und hindern ihn durch Auflagen daran, sich im öffentlichen Raum zu entfalten. Für Hans Hermann Albers ist die Anforderung klar: „Die Funktion des Buchhandels für die Stadt und die urbane Nachbarschaft muss stärker kommuniziert und gängelnde Hürden müssen abgebaut werden.“

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Margarete Schwind, E-Mail: ms@nullschwindkommunikation.de, Telefon: (030) 31 99 83 20