Cover_Heft_1.2014Berlin, 14. November 2013 | Auch in Zeiten von Big Data ist das Böse allgegenwärtig. Massenmorde, Amokläufe Terror, Hinterlist: Das Böse erschüttert unser Vertrauen in die Welt, übersteigt unsere Vorstellungskraft, ist das radikal Fremde. Was treibt unsere Gattung immer wieder zu Mord und Genozid? Unser evolutionäres Erbe? Oder unsere Willensfreiheit? Und wenn andere dem Bösen verfallen: Kann es dann auch mich erfassen?

Darin u.a.:

Ist der Mensch von Natur aus böse? Der Evolutionsbiologe Franz M. Wuketits, der Theologe Knut Berner und der Psychoanalytiker Norbert Haas finden auf diese Frage höchst unterschiedliche Antworten.

Können wir das Böse verstehen? Interview mit der Philosophin Susan Neiman.

Steckt ein Eichmann in uns allen? Ökologische Katastrophen, spekulationsbedingte Hungersnöte, Drohneneinsätze: Was trägt Hannah Arendts Begriff des “banalen Bösen”, mit dem die Philosophin einst den  “Schreibtischtäter” Adolf Eichmann charakterierierte, zur Erhellung heutiger Übel bei? Mit Antworten von Kap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck, Jay Bernstein, Philosoph, und Ökonom Thomás Sedlaček.

Was genießen wir am Bösen? Es fasziniert und verspricht höchste Lust. Doch nur wenige Menchen folgen der Anziehungskraft des Bösen bis zum Ende. Joe Bausch, Gefängnisarzt und Tatort-Schauspieler, diskutiert mit dem Philosophen und Autor Rüdiger Safranski über Computerspiele, Hirnschäden und die grundmenschliche Freiheit, einfach nein zu sagen.

Zitate:

“Im Tatort geht es um kaum etwas anderes als die Faszination am Bösen. Zentral ist die Angstlust.” (Bausch)

“Fiktionale Darstellung von Gewalt ist auch ein Moemnt der Entlastung, eine unriskante Präsenz des Bösen.” (Safranski)

“Nur bei wenigen Menschen gibt es keine ‚Bremse im Kopf‘. Die Gründe dafür sind weithin unbekannt.” (Bausch)

“Das Böse ist etwas Normales, nichts Krankes, es gehört zu dem, was wir als Menschen sind.” (Safranski)

ZEITGEIST

Exklusiv im Philosophie Magazin:
Briefwechsel zwischen Pussy Riot Nadja Tolokonnikova und Slavoj Žižek

Nadja Tolokonnikova, im Ural inhaftiertes  – und zur Zeit spurlos verschwundenes – Mitglied der russischen Künstergruppe Pussy Riot, bewundert den Philosophen Slavoj Žižek seit langem. Auf Anregung des „Philosophie Magazin“ kam es zu einem angeregten Briefaustausch zwischen den beiden. In ihren Briefen widerspricht die junge Aktivistin den Analysen des neokommunistischen Theoriepapstes energisch und entwirft ein neues Bild vom revolutionären Kampf gegen das System.

Zitate:

„Was aus liberaler Perspektive an Pussy Riot so verstörend wirkt, ist, dass Ihr die versteckte Kontinuität zwischen Stalinismus und heutigem globalem Kapitalismus sichtbar macht.“ (Žižek)

„Als Pussy Riot bieten wir keine letzten Antworten und keine absoluten Wahrheiten, weil unser Dienst etwas anderes leistet: Stellt er nicht vielmehr die Fragen?“ (Tolokonnikova)

„Können wir die müden und manipulierten Massen überzeugen, dass wir nicht nur bereit sind, provokative Widerstandsakte auszuführen, sondern auch, die Aussicht auf eine neue Ordnung zu bieten?“ (Žižek)

„Ethisch wäre ein Boykott gegen die Olympiade 2014 in Scotschi.“ (Tolokonnikova)

Radar

Neue Apple-Firmenzentrale ähnelt berühmtem Gefängnisbauplan aus dem 18. Jh.

Der Utilitarist Jeremy Bentham wollte mit seinem kreisrunden Gefängnis die perfekte Überwachung ermöglichen. Der Apple-Rundbau ist die konsequente Umsetzung und gleichzeitig Fortführung des nie realisierten Gefängnisprojekts: Im Fokus sind wir alle, und zwar ohne es zu merken.

Feminismus in Riad: Nicht nur Spermien bewegen sich!

In Riad rebellierten Frauen einen Tag lang gegen das ihnen auferlegte Fahrverbot – und wiesen so auf die mythische Weltsicht des saudischen Verkehrsfundamentalismus hin, demzufolge das Prinzip der Bewegung – wie Aristoteles behauptete – allein schon biologisch ein urmännliches ist.

Christian Wulff vor Gericht: “Übertribunalisierung der Lebenswirklichkeit”

Am 14. November wird der Prozess gegen den Ex-Bundespräsidenten eröffnet. Der Grund für die Anklage: Läppische 750 Euro. Warum diese Strenge? Der Philosoph Odo Marquard zeichnet die Stellung des Menschen in der Moderne für die ungewöhnliche Härte verantwortlich.

Pro & Contra:
Widerspricht Prostitution der Menschenwürde?

Wer sich hierzulande prostiuiert, kann angemessene Vergütung einfordern, sich gesetzlich versichern. Aber ist Sexarbeit wirklich ein Beruf wie jeder andere auch? Oder verletzt sie selbst unter guten Bedingungen die Würde des Menschen?

Zitate:

Pro: “Die menschliche Würde wird nicht geachtet, wenn eine Gesellschaft die Sexualität der Marktlogik unterstellt und auf eine rationale und vertragliche Entscheidung reduzieren will.” (Rhéa Jean)

Contra: “Umstände, in denen ein Mensch zum Überleben keine andere Wahl hat, als sich zu prostituieren, widersprechen der Menschenwürde. Prostitution an sich tut es nicht.” (Eva Weber-Guskar)

Nie wieder Nanny State!

Mit Begriffen wie “Nanny State” und “Fürsorgeterror” regen sich Zeitgenossen gern über die heutige Verbotskultur auf. Doch die Begriffe sind irreführend, meint Kolumnist Robert Pfaller: “Die Pseudo-Ammen sorgen durch diverse Warnhinweise und Verbote nur dafür, dass die Leute gesund verhungern.”

Ein Tag im Leben des perfekten Utilitaristen: Peter Singer unterzieht sich dem Praxistest

Ist es möglich, sich 24 Stunden streng an die eigenen ethischen Prinzipien zu halten? Peter Singer, rigoroser Utilitarist und einer der umstrittensten Moralphilosophen unserer Zeit, hat sich auf das Gedankenexperiment eingelassen. Das Ergebnis: frappierend. So würde der Philosoph u.a. eher eine Katze als ein behindertes Kind aus einem brennenden Haus retten.

DIE PHILOSOPHEN

Das Gespräch
Rahel Jaeggi : “Unser Verständnis von Selbstverwirklichung ist eine Zumutung”

Fast sechs von zehn Deutschen empfinden ihr Leben als stressig, jeder Fünfte steht unter Dauerdruck: So ergab kürzlich eine aktuelle Forsa-Umfrage. Die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi nennt im großen Gespräch die entscheidenden Gründe für unser gestörtes Verhältnis zur Arbeit und kritisiert gleichzeitig die Orientierung an althergebrachten Geschlechterrollen: Die klassische Hausfrauenexistenz erklärt die Philosophin zur historisch gescheiterten, regressiven und damit kritisierbaren Lebensform.

Zitate:

“Viele identifizieren sich vollständig mit ihrer Arbeit, kennen keinen Feierabend, kein “jenseits der Arbeit mehr … Diese Form der Selbstverwirklichung ist selbst eine Form der Selbstentfremdung.”

“Es geht nicht darum, sich pausenlos angestrengt zu verwirklichen, sondern es geht um Erfahrungsoffenheit, Lebendigkeit, gelingende Aneignung – und das ist im Falle der Arbeitserschöpfung ganz offensichtlich nicht gegeben.”

“Inwiefern ist das Festhalten an tradionellen Rollenmustern eine Reaktion auf die zunehmende Unsicherheit in den Arbeitsverhältnissen?”

“Natürlich kann man da jetzt nicht einfach paternalistisch von außen sagen: Das ist aber falsch, wie sie leben. Trotzdem, behaupte ich, ist diese Lebensform  (der Hausfrau und Mutter, die dankend das Betreuungsgeld nimmt; die Red.) als Lebensform kritisierbar.”

AUTORENDOSSIER

René Descartes
Mit seinem Diktum  „Ich denke, also bin ich“ erklärt der radikale Skeptiker das Bewusstsein zur einzigen Insel der Gewissheit – und markiert den Anfang einer zweifelnden Moderne, deren Ende nicht abzusehen ist.

Mit Beiträgen von Emmanuel Fournier, Pierre Guenancia, Manfred Schneider, Hilal Sezgin, Jean-Didier Vincent

Außerdem:

Brauchen wir Baukasten-Handys? Markus Krajewski testet ein neues Produkt

Sokrates fragt Der französische Sänger Sébastien Tellier antwortet – Telliers neues Album “Confection” erscheint im November!

Zitate:

Wovor haben Sie Angst?

“Ich hasse die Leere. Es muss alles immer ausgefüllt werden. Mit meinem Leben und mit meiner Musik fülle ich jeden Raum.”

Die lächerlichste Sache, die Sie für die Liebe getan haben?

“Wegen einer hysterischen Krise um vier Uhr morgens telefonieren, sie lebte noch bei Ihren Eltern …”

Ein schöner Tod wäre?

“Wenn die Schmerzen und Behinderungen zu groß sind: Eine Injektion harter Drogen (Heroin), dann lässt sich`s weitaus angenehmer sterben.”

PDF | PHILOSOPHIE MAGAZIN 1/2014

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