Philosophie Magazin Heft 6/2018 erscheint am 20. September 

Berlin, 20. September 2018 – In Krisenzeiten spitzt sich der Argwohn gegen sie zu. Chemnitz ist das aktuellste Beispiel. Die Demokratie ist in Gefahr und damit wächst der Druck aufs Establishment. Müssen Eliten sich neu erfinden, um den Spalt zwischen „uns“ und „denen da oben“ zu überwinden? Oder liegt das Problem viel tiefer – nämlich im Konzept der Elite selbst, das Menschen Führung verordnet?
Außerdem in diesem Heft: Interview mit der amerikanischen Philosopin Nancy Fraser, auf deren Thesen sich jüngst Sarah Wagenknecht beruft. 

Dossier
BRAUCHEN WIR ELITEN?

Schräglage mit Sprengkraft – Essay von Svenja Flaßpöhler:
Zitat:
„Tatsächlich wohnt dem Elitenkonzept eine Schräglage inne, die gerade in Krisenzeiten (ob diese gefühlt sind oder real) eine hochgefährliche Dynamik zu entwickeln vermag. Jetzt, in diesen Tagen, erleben wir sie wieder. „Chemnitz“: Dieses Ereignis ist nicht nur Ausdruck von Rassismus, Hetze und einem weitverzweigten, effektiv funktionierenden rechtsextremen Netzwerk. Es ist auch das Symptom eines tiefen Misstrauens, ja Hasses: „Die da oben“ haben uns vergessen. (…) Wie aber kann es einer Elite gelingen, den Kontakt zu den Bürgern zu halten, ohne sich gewissen Mehr¬ oder auch Minderheiten durch allzu leichte Lösungen anzudienen? Das Elitenkonzept – ein schwieriger, vielleicht sogar unmöglicher Balanceakt. Höchste Zeit, ihm auf den Zahn zu fühlen.“   

Wer zu den Entscheidern gehören will, muss sein wie sie“ – Interview mit dem Soziologen Michael Hartmann
Zitate:
„Ich will nicht leugnen, dass auch Leistung eine große Rolle spielt. Dennoch ist es von entscheidendem Vorteil, wenn man in den oberen vier Prozent der Vätergeneration aufgewachsen ist, in der Schicht also, die ich als Bürgertum und Großbürgertum bezeichne. Denn das Grundprinzip der Elitenrekrutierung ist letztlich das der Ähnlichkeit.“

„Die Medienelite im Privatsektor unterscheidet sich in ihrer Herkunft kaum von der Wirtschaftselite, stammen doch die Chefredakteure und Herausgeber dort zu über 77 Prozent aus bürgerlich-großbürgerlichen Verhältnissen. Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten sind es zwar nur gut 50 Prozent, aber es gibt auch hier eine Tendenz hin zu immer mehr Geschlossenheit.“

Die Retro-Rechte – Essay von Nils Markwardt
Elitenkritik kommt heute nicht mehr vorrangig von links, sondern von rechts. Dabei gehören die Wortführer der Rechtspopulisten oft selbst zu den Privilegiertesten. Was wie ein Widerspruch wirkt, führt in Wahrheit zum Kern reaktionären Denkens. 

„Die Ähnlichkeit zur Semantik der 20er-Jahre ist kein Zufall“ – Interview mit dem Historiker Volker Weiß
Die Neue Rechte redet von Klassenwahlrecht und bindet Elitenzugehörigkeit an „blutliche Herkunft“. Über Demokratiefeindlichkeit gestern und heute
Zitat:
„Klassischerweise kämpfte die Linke für Chancengleichheit. Sie wollte Funktionseliten, unabhängig von Stand und Herkunft. Dabei geriet sie mit jenen in Konflikt, die ererbte Privilegien verteidigten.. In den Augen der Neuen Rechten sind die amtierenden Funktionseliten die falschen. Sie wollen andere Eliten und vor allem mehr Ausschluss bei den Zugangsmöglichkeiten.“

Asozial, autonom, autark! — Essay von dem Philosophen und Bestsellerautor Wolfram Eilenberger
Gegen Quoten und andere Gerechtigkeitsbestrebungen: Was wahre Elite auszeichnet und warum die restlichen 99 Prozent ohne sie verloren wären. Ein Plädoyer
Zitat:
„Was diese Individuen herausragen lässt, sind ihre besonderen Talente und Sehnsüchte. Was sie zu sozialen Störenfrieden macht, ist ihr Beharren auf dem Willen zum exzellenten Ausscheren.“

Was wir brauchen – Elf Intellektuelle über den Weg aus der Krise
Antworten unter anderem von Hartmut Rosa, Rahel Jaeggi, Paula Irene Villa, Fritz Breithaupt, Ulrike Guérot, Stephan Gosepath,  Armin Nassehi und Konrad Paul Liessmann

+++++++++++++++++++++++++++++++++  

Aktuelles:

Wie viel Meinungsfreiheit verträgt die Demokratie? – Kurzessay von Svenja Flaßpöhler (Chefredakteurin)
Am 10. Oktober beginnt die Frankfurter Buchmesse. Auch rechte Verlage sind wieder zugelassen. Ist das eine gute Idee?
Zitat:
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“: Diese brechtsche Furcht, die den Anfängen wehren will, führt aus Sicht von Agonisten zu undemokratischer Diskursbeschneidung. Eine Sichtweise, die riskant ist, gewiss. Mit Blick auf „Chemnitz“: sehr riskant sogar. Doch ist eine Demokratie, die sich selbst zu immunisieren versucht, noch eine Demokratie? Dass die Buchmesse 2018 genau dieser Frage auf ihren Bühnen Raum gibt, anstatt abermals Höckes oder Gaulands ohne jede agonistische Gegenrede zu prominenten Auftritten zu verhelfen, wäre nicht nur klug, sondern muss in der heutigen historischen Situation von der größten Buchmesse der Welt klar erwartet werden.“ 

Scham mit System – Kurzessay von Nils Markwardt
Millionen Menschen rufen ihnen zustehende Sozialleistungen nicht ab – auch aufgrund eines Schamgefühls, das in den Kern der kapitalistischen Gegenwart führt.

+++++++++++++++++++++++++++++++++

weitere Themen:

„Wir brauchen eine Politik der Spaltung“ – Das große Gespräch mit Nancy Fraser
Nancy Fraser zählt zu den bedeutendsten Philosophinnen der Gegenwart. Als Antwort auf den weltweiten Rechtsruck plädiert sie für einen progressiven Populismus.
Zitat:
„Es aber auch darum, den reaktionär-populistischen Block aufzuspalten, Arbeiter und Angestellte von den ökonomischen und sozialen Kräften zu trennen, die Militarismus, Fremdenfeindlichkeit und Ethnonationalismus propagieren, … Ziel ist es jene Arbeiter- und Mittelklassefamilien für einen progressiven Populismus zu gewinnen, die zuletzt für reaktionäre Populisten stimmten, aber nicht hoffnungslos rassistisch, homophob oder frauenfeindlich sind.“

„Die Ausschlachtung des Alten macht Reiche noch reicher“ – Ein Gespräch mit den französischen Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre
Sie diagnostizieren eine neue Form des Kapitalismus. Dieser konzentriert sich auf die Verwertung des Vergangenen – und verschärft damit die sozialen Ungleichheiten.

„Was schulde ich meiner Familie?“ – Ein Streitgespräch zwischen Barbara Bleisch und Norbert Bolz
Wie schwer wiegt der eigene Wille nach Selbstverwirklichung? Ist es legitim, im Zweifelsfall eigene Wege zu gehen – und gilt dieses Recht für Mütter und Väter gleichermaßen?
Zitate:
„Was ist das für eine Bindung, wenn eine Frau bei ihrem Mann bleibt, nur weil sie ökonomisch von ihm abhängt?“ (Barbara Bleisch)

„Ich meine in der Tat, dass es eine besondere Beziehung zu den eigenen, leiblichen Kindern gibt. …. das betrifft letztlich auch das Eheband selber.“ (Norbert Bolz)

+++++++++++++++++++++++++++++++++

Im Klassiker-Dossier:

Simone Weil und die Verwurzelung – mit Auszügen aus dem gleichnamigen Text

 

PRESSEKONTAKT
Sabine Schaub, Tel: +49 – 030 31 99 83 20, E-Mail: s.schaub@nullschwindkommunikation.de